Alibi & Vinzenz-Hospiz

Im Vinzenz-Hospiz

Ich hatte Manfred einige Zeit nicht in seinem Buchladen gesehen, seine Frau auch nicht. Aber an einem Samstag war sie da. Ich stöberte herum, suchte mir einige Bücher aus und saß auf der Couch, um jeweils die ersten zehn Seiten zu lesen. Das hätte ich mir ersparen können, wenn Manfred anwesend gewesen wäre.

Plötzlich kam T. in den Laden und fragte ziemlich laut und barsch: „Ist Herr Sarrazin nicht da?“ B(arbara-Maria Sarrazin): „Warum?“ T: „Ich will ein Buch zurückgeben, das er mir empfohlen hat. Es ist Mist.“ Stellte sich als „Die Sprache des Feuers“ von Don Winslow heraus, einem Autor, den Manfred sehr schätzte. Aber zugegeben, dieses Buch ist sicher nicht sein bestes. B (kurz angebunden): „Legen Sie es auf die Theke. Aber wir nehmen keine Bücher zurück.“ Ich habe für T. dann ein paar Bücher herausgesucht, die wohl seinem Geschmack entsprachen.

Als wir beide mit ein paar Büchern unter dem Arm den Laden verlassen wollten, fragte B. uns, ob wir kurz draußen mit ihr sprechen könnten. So erfuhren wir von Manfreds unheilbarer Krankheit und dem Vinzenz-Hospiz.

Man ging vom Haupteing des Vinzenz-Krankenhause zwei Stockwerke hoch und stand dann vor der geschlossenen Hospiz-Tür, klingeln und man wurde reingelassen. Manfreds Zimmer war hinter der ersten Tür rechts. Vorher hatte er ein kleineres, aber dieses Zimmer war riesig, brauchte er auch für den Besucheransturm zu seinen Vorlesungen. Beim Thema „Drogen“ habe ich siebzehn Zuhörer gezählt.

Manfred war ziemlich kompromisslos, wenn es um Bücher ging. Jetzt erlebte ich auch seinen rigerosen Sinn für Kunst. M: „Das Bild kommt weg, Jugendstil kann ich nicht ausstehen.“ Ich glaube, es war ein Frauenbild von Klimt. Krimis wollte er nicht mehr lesen. Auf seinem Tablet hatte er Literatur gespeichert, zu der er als intensiver Krimi-Leser nicht gekommen war. Er gab aber noch Empfehlungen. Zum Beispiel: „Der Mann aus dem Save“ von Steve Hamilton.

Ich hatte immer ein paar kürzlich gelesene Krimis dabei: „Die rote Agenda“ von Liaty Pisany. Manfreds unnachahmlicher und treffsicherer Kommentar, nachdem er ein paar Seiten überflogen hatte: „Die war früher gut, jetzt liest sich das wie eine Kombination von Jerry Cotton und Rosamunde Pilcher.“ „Romanzo Criminale“ von Giancarlo de Cataldo. M: „Das ist eins der besten Bücher, die ich je gelesen habe, große Literatur.“

„Verdächtige Geliebte“ von Keigo Higashino. M schulterzuckend: „Da müsste ich wohl Japaner sein, um dem Buch was abzugewinnen.“

Jetzt sind in meiner Tasche immer noch drei Bücher, die ich ihm zeigen wollte: „Das Ende der Welt“ von Sara Gran, Deutscher Krimi-Preis 2013. Hat mich nicht vom Hocker gehauen. „Raylan“ von Elmore Leonhard. Der hemdsärmelige Protagonist weiß schon immer alles. Interessanter Stil, das Buch besteht zu 90% aus Dialogen. Manfred hätte es gefallen, da bin ich mir sicher. „Die Farbe der Nacht“ von Madison Smart Bell. Ein Buch, das unter die Haut dunkler Seelen geht. Manfred hat dunkle Seelen verstanden.


Stationen von Alibi

Ein Freund machte mich auf den Alibi-Buchladen aufmerksam. Er war damals in der Engelbertstraße. Ich glaube, das war die erste Station, die Theke in Pistolenform. Bis dahin hatte ich noch nie einen Buchhändler getroffen, der was von Krimis verstand. Ich hatte nach einigen Irrwegen die Diogenes-Bücher mit all den Klassikern: Chandler, MacDonald, Millar, Ambler, Nabb usw. gefunden. Gut es gab davor noch vom Rowohlt-Verlag Autoren wie Himes und Japrisot.

Aber da sind mir dann doch einige Autoren interessante Autoren entgangen. Das änderte mit Manfred Sarrazins fachkundiger – nein besser – leidenschaftlicher Beratung. Er hatte ein enzyklopädisches Wissen über Krimis, Autoren und Inhalte. Das ging bis in wörtliche Zitate: „Er sah in einer Entfernung von zehn Metern im Garten eine sehr attraktive Frau. Aus drei Metern wünschte er sich, sie immer aus zehn Metern zu sehen“ (Das hohe Fenster von Raymond Chandler).

Dann kam der Underground-Umzug in die Buchhandlung Gleumes am Hohenstaufenring. Das konnte die wahren Kunden nicht abschrecken. Hier begannen unsere Diskussionen über die USA. Ich überspitze einmal Manfreds Meinung: Nur Amerikaner können gute Krimis schreiben. Zu unseren gemeinsamen Autoren gehörte Larry Beinharts American Hero. Wenn man das Buch gelesen hat, war unsere Meinung, dann enthielt es mehr verstörende Fakten als Fiktionen über amerikanische Politik und den ersten Irakkrieg. Ich weiß, Manfred kannte Larry Beinhart und drüfte so noch mehr über die Hintergründe erfahren haben.

Religion und Gewalt prägen die USA. Es sitzen dort mehr Leute gemessen an der Gesamtbevölkerung im Gefängnis als in der restlichen westlichen Welt. Gefängnisse bauen und betreiben wird zum Geschäft. Das spiegelt sich auch Kriminalromanen wider, bei den Verbrechen, den „private eyes“ und der Polizei: „Er ließ mich ganz flüchtig eine Marke sehen. Nach allem, was ich davon mitbekam, hätte er ebensogut auch von der Schädlingsbekämpfung sein können. Er war grau-blond und hatte einen ekligen Blick. Sein Partner war hochgewachsen, sauber, sah gut aus und hatte etwas exakt Widerliches an sich, ein Raufbold mit Bildung. Sie hatten wachsame und wartende Augen, deduldige und vorsichtige Augen, kühle, hochmütige Augen. Die kriegen sie beim Abschlussexamen auf der Polizeischule.“ Aus „Der lange Abschied“ von Raymond Chandler. Manfred kannte viele solcher Stellen und konnte sie oft wörtllich zitieren.

Umzug in die Ehrenstraße: Hier gab es im Keller ein Antiquariat. Endlich konnte ich waschkörbeweise gelesene Krimis loswerden. Manfred sah sich alle Titel an. Das meiste akzeptierte er, aber zwei lehnte er naserümpfend ab. Da musste mir irgendwelche Trivialliteratur in den Korb gerutscht sein.

Manfred Sarrazin mochte die Beschreibung von Gewalt und Action, die der Verquickung von Politik, amerikanischen Agenturen und Verbrechen. Keiner hat das für ihn besser dargestellt als James Ellroy in seinen Romanen.

Es kam der letzte Umzug in die Limburger Straße. Man könnte fast sagen, es war die Don Winslow-Zeit, dessen Bücher auch einen eigenen Platz auf einem der Tische im Laden hatten. Wer hätte gedacht, dass die Gewalt in „Tage der Toten“ heute von der Wirklichkeit noch weit übertroffen wird.

Obwohl Manfred im Hospiz keine Krimis mehr las, konnte er doch vom Genre nicht ganz lassen. Er hat noch in seinem Krankenzimmer eine Privatvorlesung über den Drogenkrieg gegeben, sicher auch inspiriert durch die „Tage der Toten“. Später sagte er mir, er sei erfreut gewesen von der anschließenden Diskussion über die Freigabe von Drogen. Das hätte er erreichen wollen, denn der Krieg gegen die Drogen sei verloren. Die Bestätigung deiner Thesen liefern jetzt viele südamerikanische Politiker.


Epigramm aus „Browns Grabgesang“ von James Ellroy:

„Das Ganze läßt auf ein ungewöhnliches Wissen, ein Nachschlagewerk mit einem agilen Geist schließen, und seine Phantasiegebilde könnte man schon mit denen eines Genies vergleichen. Seine Phantasie ist jedoch rein verbsl: Walter hat noch niemals etwas geschrieben, gefilmt oder komponiert. Dennoch kann er seine vom Alkohol verschleierten Hirngespinste in Einsichten und Parablen umwandeln, die den Kern des Lebens treffen… Ich hoffte, daß er heute gut drauf sein würde, da ich selbst vergnügt war, und ich verspürte ein Bedürfnis nach Ansporn, Die Wirkung eines Epigramms von Walter kann den merkwürdigsten Tag in die richtige Bahn lenken.“

Manfred ist nicht ganz Walter: Er brauchte keinen Alkohol für seine Einsichten, er rezensierte Krimis und trug sie im Rundfunk vor. Aber der Rest des Zitats beschreibt Manfred Sarrazin, wie wir ihn alle in Erinnerung behalten werden.

 28.05.13

Ein Gedanke zu „Alibi & Vinzenz-Hospiz“

  1. Kleine Korrektur einer ehemaligen Gleumes-Mitarbeiterin: Der Untergrund war nebenan im „Books around“, nicht bei Gleumes. Ich bin vorgestern erst zufällig auf diese Seite gestoßen. Von Manfreds Tod und dem der Krimibuchhandlung (und weiterer Kölner Fachbuchhandlungen wie Buch Gourmet und der Hörbuchhandlung) habe ich nichts mitbekommen, weil ich Köln 2008 verlassen habe und 2012 im Sommer zuletzt dort war… Das alles macht mich sehr traurig. Ich kannte Manfred nicht gut, aber wir sind uns natürlich öfter begegnet und ich mochte ihn und seine Frau Barbara. Köln ist ein Stück ärmer ohne ihn, das Alibi und die anderen Spezialläden, nicht zuletzt auch Gleumes… Liebe Grüße in die Domstadt, Tanja

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